Studierende müssen meistens selbst für ihre Work-Life-Balance sorgen. Ein studentisches Forschungsprojekt zum Thema Gesundheits- und Stressmanagement liefert mit Hilfe der Herzratenvariabilität Erkenntnisse, wie gestresst Studierende und Beschäftigte an Hochschulen sind.
Stress ist ein Thema an Hochschulen und Universitäten, nur kümmert sich keiner so richtig darum. Es gibt zwar den Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen, der schon im Jahr 1995 gründet wurde. Aber noch lange nicht alle Einrichtungen haben sich dem Thema Gesundheit im Hochschulalltag angenommen.
Hochschulstress wird zum Forschungsobjekt
Frau Professorin Beate Sieger-Hanus von der Dualen Hochschule Baden Württemberg in Stuttgart hat aus dem Thema ein kleines Forschungsprojekt für ihre Studierenden gemacht. Im Rahmen des Integrationsseminars im Studiengang BWL-Dienstleitungsmanagement sollten verschiedene Pausen-Interventionen auf ihre Wirksamkeit mit Hilfe der Herzratenvariabilität (HRV) überprüft werden.
Als ich Frau Professorin Sieger-Hanus traf, wollte ich natürlich als Erstes wissen, wie eine Wirtschaftswissenschaftlerin auf so eine Studienidee kommt. “Eigentlich entstand die Idee während eines Gesprächs mit dem Ausbildungsleiter von Alcatel-Lucent, einem unserer dualen Partner. Wir stellten uns die Frage, ob die Maßnahmen der Betriebskrankenkasse VBU zur Stressvorbeugung im Unternehmen auch für Studierende sinnvoll sein könnten. Da wir bei der Wahl der Projekte im Integrationsseminar ziemlich frei sind, auch fächerübergreifend Gebiete aufgreifen können, war das Thema Stressmanagement schnell gesetzt.”
Die Pauseninterventionen zur Entspannung
Im Mittelpunkt der Studie steht die Untersuchung verschiedener Pauseninterventionen zur Stressreduktion. “Natürlich konnten wir in dem zeitlich begrenzten Rahmen nicht alles neu erfinden. Wir haben uns bei der Ausrichtung an bekannten Studien wie beispielsweise die KIT-Studie orientiert.” Was letztendlich dazu führte, dass verschiedene mentale und körperliche Maßnahmen zur Stressreduktion in das Stuttgarter Projekt aufgenommen wurden.
Die Maßnahmen an der Hochschule umfassten:
- eine angeleitete Meditation mittels CD,
- die Nutzung des Entspannungs-Massagesessels brainLight,
- ein Bewegungsprogramm und
- die Dokumentation der Ernährungsgewohnheiten.
Studierende messen den Stress ihrer Kommilitonen
Nachdem sich sechs Studierende aus dem 5. Theoriesemester für das Thema begeistern konnten, startete das Projekt im Wintersemester 2015/2016. Ihr “Testobjekt” waren Studierende des gleichen Studienfachs aus dem ersten Semester. 131 Kandidaten und Kandidatinnen konnten sie motivieren, an der Studie teilzunehmen. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip für die vier Maßnahmen und für eine Kontrollgruppe eingeteilt. Parallel konnten auch Hochschul-Beschäftigte an dem Projekt teilnehmen.
Die Maßnahmen zur Einschätzung der Belastung
Verschiedene Aspekte zu gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen wurden mit Hilfe von Fragebögen zu Beginn, während und nach der Erhebung ermittelt. “Auch bei den Fragebögen haben wir auf bestehende, standardisierte Erhebungsinstrumente zurückgegriffen, wie beispielsweise auf das Maslach-Burnout-Inventory oder den Fragebogen zur Erfassung des Gesundheitsverhaltens (FEG), und haben diese mit eigenen Fragen noch ergänzt,” erklärt Professorin Sieger-Hanus.
Neben der subjektiven Beurteilung des Stressempfindens wurde bei einigen Teilnehmern auch eine RSA-Messung mit dem Stress Pilot durchgeführt. “Leider konnten wir aufgrund von Zeitmangel nur bei etwa zehn Teilnehmern pro Gruppe die HRV am Anfang und Ende messen,” bedauert die Professorin.
Der Grund für zu wenig Entspannung: Zeitmangel
Ein voller Stundenplan bestimmt das Leben der Studierenden. Die 12-wöchige Theoriephase ist von meist achtstündigen Lehrveranstaltungstagen geprägt. Zeit für die Maßnahmen des studentischen Forschungsprojekts gab es nur in der Mittagpause von 45 bis 60 Minuten.
Vielleicht lässt sich mit dem straffen Zeitplan begründen, warum im Verlauf der Erhebung die Teilnahmebereitschaft bei den Studierenden rapide sankt. Nur etwa 30 Prozent führten die vorgegebenen Maßnahmen mehr als dreimal pro Woche während der ganzen Studiendauer durch. Bei den Beschäftigen war die Motivation etwas größer: Etwa 70 Prozent von ihnen hielten bis zum Ende durch.
“Wenn Entspannungsmaßnahmen nicht bereits fest im Verhalten verankert sind, verursachen die Verhaltensveränderungen erst einmal zusätzlichen Stress. Eigentlich ist es nachvollziehbar, warum so viele Studierende ausgestiegen sind,” kommentiert Professorin Sieger-Hanus das Verhalten.
Die Stress-Ergebnisse aus den Fragebögen
Am Anfang des Projekts fühlten sich alle Studierende durchschnittlich gestresst. Die Ergebnisse aus den Fragenbögen bewegten sich in allen Interventionsgruppen auf einem mittleren Niveau mit der Tendenz zu Stress. Bereits in der Mitte des Erhebungszeitraums zeigte sich in einer Stichprobe unter den Studierenden eine leichte Verlagerung zu einem höheren Stressempfinden. Zum Ende stieg der Stresslevel auf den höchsten Wert. Alle Studierenden beschrieben sich als gestresst.
“Dass der Stress bei den Studierenden immer mehr wird, ist verständlich. Im Laufe des Semesters baut er sich langsam auf. Nach zehn bis elf Wochen folgen die Klausuren und dann geht es wieder zurück in die Firma”, erklärt die Professorin.
Eine interessante Beobachtung gab es bei den Studierenden, die als Interventionsmaßnahme den Entspannungs-Massagesessel nutzen durften. Sie wiesen sowohl zur Mitte als auch zum Ende des Forschungsprojektes den höchsten gefühlten Stresslevel auf. Was sich später auch bei den HRV-Messungen bestätigte.
Bei den Beschäftigten der Dualen Hochschule sankt der Stresslevel im Laufe der Untersuchung. Zu Beginn lag er noch auf einem mittleren Niveau und entwickelte sich zum Ende zum besten Wert aller Untersuchungsgruppen. Sie scheinen durchschnittlich eher entspannt zu sein. Auch diese Ergebnisse wurden durch die HRV-Messung bestätigt.
Die Stress-Ergebnisse aus der HRV-Messung
Zu Beginn der Betrachtung hatte die Entspannungs-Massagesessel-Gruppe die höchsten HRV-Werte von allen Gruppen. Sie waren also tendenziell die entspanntesten Teilnehmer. Bereits zur Studienmitte wandelt sich dies ins Gegenteil. Letztendlich schnitt diese Gruppe mit den schlechtesten HRV-Werten ab.
Bei der Meditationsgruppe zeigte sich ein leichter RSA-Anstieg zur Studienmitte, der sich zum Ende des Forschungsprojektes auf sein anfängliches mittleres HRV-Niveau zurückbewegte.
Die besten HRV-Ergebnisse ließen sich in den Gruppen Bewegung und Ernährungsdokumentation ermitteln. Sie zeigten kontinuierlich einen leichten Anstieg der HRV-Werte über alle drei Messzeitpunkte.
Die HRV-Werte der Beschäftigten der Dualen Hochschule Baden Württemberg deckten sich mit den guten Ergebnissen aus den Fragebögen. Auch bei der HRV zeigten sie die größte Verbesserung von allen untersuchten Gruppen.
In der Kontrollgruppe ergaben sich während der Erhebung keine nennenswerten Unterschiede bezüglich der HRV-Parameter.
“Dass die körperliche Aktivität gut abschneiden würde, war vorhersehbar. Die Wirkung einer Ernährungsdokumentation hätte ich allerdings nicht so hoch eingeschätzt. Wahrscheinlich führt die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten schon zu Veränderungen,” ergänzt Professorin Sieger-Hanus die Ergebnisse.
Entspannte Aussichten für Studierende
Das Fazit von Professorin Sieger-Hanus: “Wir wollen und müssen an dem Thema Stressmanagement im Hochschulalltag dranbleiben. Unser Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen wird die gewonnenen Erkenntnisse in ihre Konzepte aufnehmen und es wird in ähnlicher Form bestimmt weitere Projekte bei uns geben.”